In Gedenken an die Opfer der Euthanasie und in Verantwortung für unsere heutige Lehre

Dem systematischen, industriellen Mord an Menschen mit Behinderung und politisch Verfolgten folgte der industrielle Massenmord an Jüd*innen in den deutschen Konzentrationslagern.

Der AStA Marburg kämpft für eine Universität, in der nicht den Tätern des Nationalsozialismus gedacht wird, sondern in der Betroffene der NS-Verbrechen Anerkennung und Würdigung erfahren.

Gerade in Marburg, wo die Leitung der Psychiatrie neben ihrer Beteiligung an Eugenik, Euthanasie und Zwangssterilisationen auch noch über mehrere Jahrzehnte nach 1945 treibende Figuren des Widerstandes gegen Entschädigungen für Sinti und Roma und Menschen mit Behinderung waren, muss diese Erinnerung wach gehalten werden. „Deshalb fordern wir, dass die Geschichte von ärztlichen Verbrechen in der Gesamtgesellschaft öffentlichkeitswirksam kommuniziert, die Täter benannt und die Betroffenen gewürdigt und anerkannt werden!“, ergänzt Beto Jarke, Gesundheitsreferent des AStA Marburg.

Nachdem bekannt wurde, dass im Zentrum für psychische Gesundheit am Ortenberg ein nicht ausreichend kontextualisiertes Bild von Werner Villinger hängt, haben das autonome Behindertenreferat und das Referat für Gesundheit des AStA Marburg den Kontakt zu der Klinikleitung gesucht, um über einen adäquaten, kritischen, betroffenen-zentrierten Umgang mit der universitären Vergangenheit zu sprechen. Unterstützt wurden die beiden Referenten durch den einstimmigen Beschluss der Vollversammlung der Student*innen mit Behinderung, der Fachschaften Medizin und Geschichte, sowie der studentischen Initiative „KritMed Marburg“.

Im Nachgang des Gesprächs wurde seitens der Klinikleitung die Bereitschaft geäußert, das Bild von Herrn Villinger durch eine Ergänzung zu seiner Rolle in der Nachkriegszeit zu erweitern. „Leider mussten wir ansonsten feststellen, dass innerhalb der Leitung des psychiatrischen Zentrums unzureichendes Verständnis für die Notwendigkeit einer weitreichenderen kritischen Reflexion dieses Themas in der Öffentlichkeit besteht“, bedauert Kai Kortus, Referent des autonomen Behindertenreferats Marburg. Entgegen den im Gespräch vorgebrachten Forderungen seitens der AStA Referenten, soll weiterhin eine akademische Aufklärung von Verbrechen der an Eugenik, Zwangssterilisationen und Euthanasie beteiligten Marburger Professoren Werner Villinger, Hermann Stutte und Helmut Ehrhardt im Mittelpunkt stehen. Beto Jarke gibt diesbezüglich zu bedenken, dass diese Art der Aufklärung zwar zu begrüßen sei, jedoch sei diese Art von Lehre in ihrer Dimension und öffentlichen Wahrnehmbarkeit sehr eingeschränkt und somit kaum für eine adäquate Aufarbeitung der NS-Verbrechen brauchbar.

Auf der Webpräsenz der Psychiatrie befindet sich zudem unter der Rubrik „Geschichte“ beispielsweise trotz der großen Menge an vorhandenen Forschungsergebnissen keinerlei Verweis auf die Taten der zum Teil mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten Ärzte, geschweige denn eine Positionierung der Klinikleitung - sei es die Positionierung der Fachgesellschaft oder eine eigene hinsichtlich der Verbrechen während und vor allem auch nach der NS-Zeit. „Diese Form der Erinnerung trägt nicht zur Anerkennung des Leids von Tausenden und ihrer Familien und Nachkommen bei, sondern verschiebt die Debatte um Kontinuität nach der NS-Zeit in ein akademisches Feld, wo sie um einiges schlechter sichtbar ist und bleibt“, kritisiert Kai Kortus.

Um das Thema in die Student*innenschaft zu tragen, haben die beiden AStA-Refernten für Montag, den 11.02.2019 (18:00, Raum +02/0020, Hörsaalgebäude) Prof. Volker Roelcke von der JLU Gießen eingeladen, der u.a. Vorsitzender des Ausschusses zur Aufarbeitung der Geschichte der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) war und u.a. über die Geschichte des (nicht-)Umgangs mit Ärzteverbrechen durch die Ärzt*innenschaft und ihre Gremien in der Nachkriegszeit berichten wird.

„Uns geht es nicht um ein einzelnes Bild, sondern den Umstand, dass an zu vielen Stellen an der Universität noch an Täter erinnert wird, sei es auf Basis von Bildern, Häuserbenennungen, uvm.

Dagegen wollen wir einen kritischen, kontextualisierten und betroffenen-betonten Ansatz setzen und fordern die Student*innenschaft, die Stadt Marburg und die Lehrkräfte der Universität Marburg zur aktiven Mitgestaltung ihres Lehr- und Lebensumfelds im Sinne einer Erinnerungskultur auf, die diesen Namen tatsächlich verdient hat.“, schließt Beto Jarke.

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